trotz rein historischem Lesen der Bibel
Stark ist immer wieder die Versuchung, die Bibel nicht als Ansprache an mich selbst, sondern an andere zu lesen.
Wer sie rein historisch liest als eine Sammlung von Schriften, die vor 1900 bis 3000 Jahren geschrieben und mehrfach überarbeitet wurden - wie es in der alt- und neutestamentlichen Forschung an den Universitäten geschieht, dessen Blick wird kritisch geschult gegenüber den Texten. Ich selbst habe mich am Ende meines Studiums wie eine Pathologin gefühlt, die gelernt hat, die Texte auseinanderzunehmen, aber nicht mehr weiß, wie sie wieder zusammenkommen und was sie für mich selbst bedeuten.
Auch wenn man die alttestamentlichen Texte ausschließlich als Verheißung und die neutestamentlichen als Erfüllung dieser Verheißung liest, erkennt man in ihnen möglicherweise nicht sich selbst, - uns Menschen, wie wir halt sind, nämlich keine Helden. Auch hierbei betrachtet man die Texte rein als geschichtliche Zeugen von etwas, was geschehen ist. Sie sind dann nur als Bindeglied wichtig innerhalb einer langen historischen Entwicklung, die es zu kennen gilt: Zuerst die mehr als 1000 jährige Geschichte des Volkes Israel, dann Jesus aus Nazareth, dann der Beginn der Mission und die Gründung von Gemeinden durch die Apostel und die Entstehung von Kirchen, als Beginn einer nun bald 2000jährigen Kirchengeschichte.
Vielfach ist es auch üblich nur die eigenen Lieblingstexte zu lesen, in der Predigt auszulegen und zu zitieren, für die eigene Überzeugung aber schwierige Texte zu überschlagen. So neigen wir leicht zum Schönreden und andererseits zum Negieren von Problemen, die der eigenen Meinung widersprechen oder Zweifel daran aufkommen lassen könnten. Man möchte doch "gut" sein, zu den "Guten" gehören, die alles richtig machen.
Ja, die biblischen Texte sind sehr alt und berichten uns von einer mehr als 1000jährigen Geschichte des Volkes Israels und dem Beginn unseres Christentums durch Jesu Missionsauftrag an seine Schüler. Auch was durch sie in den fast zwei Jahrtausenden seitdem geschah, ist Geschichte, die nützlich ist zu kennen. Doch wenn ich die biblischen Texte als Ursache lese, die all das, was dann geschah, hervorbrachte, nämlich die Kirchen und ihre jeweilige Geschichte, dann bin ich in Gefahr, mich selbst durch diese Texte nicht mehr direkt ansprechen zu lassen, die Kirchen / die Kirche als das, was aus ihnen folgte, an ihre Stelle zu setzen und mir ihre Auslegung vorschreiben zu lassen.
Wenn ich nun die Bibel nur als historisches Dokument lese, dann erlebe ich für mich selbst keine Ansprache und Hilfe. Es ist nicht anders, als wenn ich irgendwelche andere historische Werke lese. Schlimm wird es allerdings, wenn ich sie aufgrund unseres heutigen Zeitverständnisses missverstehe und in ihr statt einer persönlichen Anrede eine Beschreibung der Welt von ihrer Schöpfung an bis zu ihrer Vollendung lese und dies als für wahr zuhaltende Weltanschauung anderen zur Pflicht und Aufgabe mache.
Angesichts des heute aufgrund der Entwicklung der Wissenschaften Denkbaren, aber kaum Vorstellbaren (Quantenphysik, Relativitätstheorie), aber auch der ethischen Konsequenzen der Evolutionstheorie und des Darwinismus ist die Entstehung solch einfacher Erklärungsmuster wie "Die Bibel hat (weltanschaulich) doch recht" /des Kreationismus zwar verständlich, aber auch gefährlich. Denn man macht sich Feinde, macht andere, insbesondere die Wissenschaftler zu Feinden, statt Menschen den wunderbaren Schatz der biblischen Geschichten zu Selbsterkenntnis, Beziehungsfähigkeit, Hoffnung und Liebe nahe zu bringen.