Auferstehung aller Menschen
Kann jemand von anderen verurteilt werden, wenn er davon ausgeht, dass alle Menschen nach ihrem Tod wieder auferweckt werden /auferstehen? Es ist doch eine schöne Vorstellung oder doch nicht?
Zurzeit Jesu war diese Vorstellung unter den Gelehrten in Israel umstritten. Die Pharisäer bejahten sie, die Sadduzäer verneinten sie und diskutierten mit Jesus darüber, um zu zeigen, dass sie unlogisch sei. Im Markus-Evangelium 12,18-27 lesen wir:
"Von den Sadduzäern, die behaupten, es gebe keine Auferstehung, kamen einige zu Jesus und fragten ihn: " Meister, Mose hat uns vorgeschrieben: 'Wenn ein Mann, der einen Bruder hat, stirbt und eine Frau hinterlässt, aber kein Kind, dann soll sein Bruder die Frau nehmen und seinem Bruder Nachkommen verschaffen.' Es lebten einmal sieben Brüder. Der erste nahm sich eine Frau, und als er starb, hinterließ er keine Nachkommen. Da nahm sie der zweite; auch er starb, ohne Nachkommen zu hinterlassen, und ebenso der dritte. 22 Keiner der sieben hatte Nachkommen. Als letzte von allen starb die Frau. Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt."
Jesus sagte zu ihnen: "Ihr irrt euch, ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes. Wenn nämlich die Menschen von den Toten auferstehen, heiraten sie nicht, noch lassen sie sich heiraten, sondern sind wie Engel im Himmel. Dass aber die Toten auferstehen, habt ihr das nicht im Buch des Mose gelesen, in der Geschichte vom Dornbusch, in der Gott zu Mose spricht: Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Er ist kein Gott von Toten, sondern von Lebenden. Ihr irrt euch sehr."
Heute wird man leicht für dumm gehalten, wenn man noch an die Auferstehung der Toten glaubt. "Opium für das Volk" oder "Opium des Volkes" wurde und wird sie von Atheisten bezeichnet und mit Religion gleichgesetzt. Sie hindere das (ungebildete) Volk, sich gegen Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen und für seine Rechte zu kämpfen. Dadurch hätten Herrschende ein Interesse daran, Religion zu fördern, weil es ihnen helfe das Volk ruhig zu halten, dem es leichter falle, das Schwere im Leben zu ertragen, weil es dafür ja im Himmel im ewigen Leben entschädigt werde.
Doch Jesus und nach ihm die christliche Lehre ist von keinem Automatismus ausgegangen, wie es Jesu Gleichnis vom "Reichen Mann und armen Lazarus" im Lukasevangelium 16,19-31 nahelegen könnte. Jesus befindet sich dort in einem Streitgespräch mit Pharisäern über die Bedeutung von Geld und Besitz im Leben und in diesem Zusammenhang erzählt er folgendes:
"Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte. Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. Es geschah aber: Der Arme starb und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von Weitem Abraham und Lazarus in seinem Schoß. Da rief er: 'Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lazarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer'.
Abraham erwiderte: 'Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lazarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte.'
Da sagte der Reiche: 'Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.'
Abraham aber sagte: 'Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören.'
Er erwiderte: 'Nein, Vater Abraham, aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren.'
Darauf sagte Abraham zu ihm: 'Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.'"
Jesus spricht hier also nicht über sein Weltbild, sondern kritisiert den Stellenwert, den Geld und Reichtum für seine Gesprächspartner haben. Das ist also nicht herrschaftsstabilisierend, sondern äußerst kritisch gegenüber dem Streben und der Anhäufung von Reichtum. Ähnlich kritisch hat er sich auch zu anderen Gelegenheiten geäußert.
So berufen sich auch die Vertreter der Theologie der Befreiung auf ihn, eine vorwiegend lateinamerikanische katholische Strömung innerhalb des Christentums, die viel Sympathie und Einfluss auch bei bekannten deutschen und europäischen Theologen und weltweit hat.
Da Veränderungen in der Gesellschaft in den einzelnen Ländern und weltweit heute auch Christen stark beschäftigen, ist das Nachdenken über das, was Jesus über die Auferstehung lehrte, in vielen Kirchen und Gemeinden oft in den Hintergrund geraten, insbesondere, dass er nicht nur von einer Auferstehung der Toten sprach, sondern auch vom göttlichen Gericht, dem Jüngsten Gericht über jeden einzelnen Menschen, auch von der Hölle, von Heulen und Zähneklappern, die dies für Einzelne bedeuten könnte.
Diese Warnungen Jesu, die zu einem veränderten Verhalten im eigenen Leben führen könnten, zu einer Umkehr, wurden in der Vergangenheit gern als Erziehungsmittel von Eltern und Lehrern gegenüber Kindern genutzt. Die älteste bildliche Darstellung des Weltgerichts wurde um 800 im Kloster von Müstair gemalt. Es folgten im Mittelalter viele weitere. Im hier verlinkten Wikipedia-Artikel darüber wird leider nicht auf die sozialkritische Funktion dieser Gemälde eingegangen, die daran zu sehen ist, ob Könige, Päpste und andere Mächtige und Reiche in der Hölle schmoren, wogegen Arme und Behinderte sich im Himmel wiederfinden.
Wenn hier Jesu Lehre von der Auferstehung der Toten unter die Lehren gerechnet wird, die seinem Wirken heute entgegenstehen könnten, statt es zu begründen und fördern, so deshalb, weil sie eben so stark gesellschaftliche Sozialkritik bedeutet, wie es auch in seinem Gleichnis vom Endgericht im Matthäusevangelium 25,31-46 hörbar wird. Die Auferstehung der Toten setzte er voraus, aber wie er sie beschrieb, damit provoziert er bis heute - wenn es gut geht zu einer Änderung des eigenen Lebensstils von einem egoistischen zu einem humanistischen.
Im übrigen: Die Vorstellungen, wie und wann sich die Auferstehung der Toten vollziehen wird und ob das Endgericht darin vorkommt und in welcher Funktion, haben sich in den 2000 Jahren im vom Christentum geprägten Gesellschaften immer wieder verändert. Sie sind Teil des Menschen- und Weltbildes der jeweiligen Zeit und Gesellschaft. Die Veränderungen dieser Vorstellungen seit der Reformation im 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin habe ich anhand der Predigten der Berliner Hof- und Domprediger untersucht. Sehr unterschiedlich war, welche Bedeutung die Auferstehung des Leibes hatte und ob man von der Unsterblichkeit der Seele ausging, so während der Aufklärung in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Da war eine Auferstehung aufgrund Gottes erneutem Schöpferhandelns nicht mehr erforderlich.